Das neue Wissenschaftsjahr des Bundesministeriums für Bildung und Forschung widmet sich 2018 dem Thema „Arbeitswelten der Zukunft“. Es soll „erkunden, welche Chancen sich eröffnen und vor welchen Herausforderungen wir stehen“. Forschung, Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur suchen gemeinsam nach Antworten auf Fragen zu den Arbeitsplätzen von übermorgen. Auch die Universität Erfurt beteiligt sich mit einer Beitragsreihe wieder am Themenjahr des BMBF und geht dabei aus geisteswissenschaftlicher Sicht der Frage auf den Grund, wie sich zukünftige Arbeitswelten gestalten werden. Welche Ängste bringen Digitalisierung und Robotik mit sich? Wie haben sich Berufe gewandelt, beispielsweise der Lehrerberuf, die Arbeit in Bibliotheken und Archiven oder die Tätigkeit des Forschers selbst? Was ist Arbeit überhaupt, etwa lediglich die Erwerbstätigkeit oder nicht doch alles, was uns im Leben prägt, von familiären und freundschaftlichen Beziehungen bis hin zur Muße? Welche Rolle spielen zukünftig Internationalisierung, Ehrenamt, ständige Leistungssteigerung und Work-Life-Balance? Und wie müssen sich Unternehmen verändern, um zukunftsfähig zu bleiben? Diese und weitere Fragen sollen in der Textreihe „Arbeitswelten der Zukunft – Beiträge der Universität Erfurt zum Wissenschaftsjahr 2018“ diskutiert werden.
In seiner Funktion als Geschäftsführer der Erfurt School of Education (ESE) ist Dr. Benjamin Dreer nah dran an der Lehrerausbildung, aber auch am Lehreralltag. Denn die ESE ist seit 2006 die zentrale wissenschaftliche Einrichtung, die die Lehramtsausbildung an der Universität Erfurt konzipiert, organisiert und die Schnittstellen zu den Fakultäten sowie den weiteren Akteuren der Lehrerbildung landes- und bundesweit koordiniert. In Beitrag 6 unserer Reihe wagt er einen Ausblick auf ein künftiges Bild des Lehrerberufs.
Der Lehrerberuf ist ein Beruf, der verlangt, mit Ungewissheit umzugehen. Dies betrifft nicht nur die nächste Gruppenarbeit in der „7a“ oder den Vertretungsplan der kommenden Woche. Die Ungewissheit bezieht sich auch auf die Zukunft des Berufs selbst und auf die Frage, wie angehende Lehrkräfte auf die damit verbundenen Herausforderungen vorbereitet werden können. Eine recht einfache Rechnung illustriert das Problem: Junge Menschen, die direkt nach dem Abitur beginnen Lehramt zu studieren, steigen nach Studium und Vorbereitungsdienst mit etwa Mitte 20 in den Lehrerberuf ein. Viele bleiben. Und zwar mindestens 40 Jahre. Das entspricht der Begleitung von ca. 8-10 Schülerinnen- und Schülergenerationen. Vier Jahrzehnte in denen sich nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse im Hinblick auf die unterrichteten Unterrichtsfächer maßgeblich weiterentwickeln werden. Auch alternative pädagogische Ansätze und eine gesellschaftlich verhandelte Vorstellung von „guter Schule“ werden zu einer Wiederbelebung bekannter aber auch zu immer neuen Forderungen führen, die die Ausgestaltung von Schule und des Lehrerberufs betreffen. Wesentliche Merkmale des Lehrerberufs verändern sich dabei auch entlang technologischer Entwicklungen und deren Wiederhall in der Gesellschaft. Drei Beispiele:
Wurden Eltern früher zum Gespräch in die Schule einbestellt, um auf den viel zu kleinen Sitzmöbeln ihrer Kinder ehrfurchtsvoll die pädagogische Expertise der Lehrkraft über die Zukunftschancen ihres Kindes entgegenzunehmen, fragen sie heute über WhatsApp am Sonntagabend bei der Lehrerin nach, ob sie nicht auch der Auffassung ist, dass bei den Wetteraussichten eine leichte Regenjacke für Tobias zur Hofpause am Montag ausreichend wäre.
Die Kommunikation mit Lehrkräften verändert sich und das auch ohne ihr Zutun. Mit einer veränderten Kommunikation wandeln sich aber auch die Anforderungen, die aus professioneller Perspektive zu bewältigen sind. Fragen von Status und Selbstverständnis, aber auch nach der Erreichbarkeit und Entgrenzung der Arbeit, sowie nicht zuletzt datenschutzrechtliche Belange werden hiervon berührt. Aspekte, die auch in einer zukunftssicheren Ausbildung zu thematisieren wären. Immerhin bieten digitale Formate der Eltern-Lehrkraft-Kommunikation auch Chancen, Kommunikationsprozesse zu vereinfachen, Anforderungen der Mehrsprachigkeit gerecht zu werden und Hürden abzubauen. Auf diese Weise könnte wesentlicher Beitrag zu einem besseren Schulklima geleistet werden.
Recherche, Auswahl und didaktische Aufbereitung von Wissen gehört seit jeher zum klassischen Handwerkszeug einer Lehrkraft. Dies geht auf die einst zutreffende Idee zurück, dass die Lehrkraft mit ihrer fachlichen und fachdidaktischen Expertise, ihrem pädagogischen Geschick und ihren erweiterten Zugängen zu Wissensquellen gewissermaßen als Dolmetscherin zwischen gesichtslosen Archiven und langweiligen Lexika auf der einen sowie unterhaltungshungrigen und begeisterungswilligen Kindern auf der anderen Seite fungiert. Heute ist Wissen für jeden gut erreichbar abgespeichert. Mehr noch: Es ist sogar zum Teil so aufbereitet, dass mitunter der schlichte Besuch einer Webseite einer dramaturgisch inszenierten und mit Medieneinsatz gespickten Unterrichtsstunde einer Fachlehrkraft in nichts nachsteht. Ansätze, wie der Flipped Classroom machen sich genau diese Entwicklungen zu Nutze, indem sie Phasen des Wissenserwerbs aus dem Unterricht auslagern und die zur Verfügung stehende Zeit stattdessen zum Vertiefen, Diskutieren und Üben verwenden. So soll es auch gelingen, dauerhafte Über- oder Unterforderung zu vermeiden, indem Schülerinnen und Schüler an für sie jeweils passenden Anforderungen arbeiten. Unterricht, der wie Videospiele designt wird, um für jeden maximales motivationales Flowerleben zu erreichen und Schulausflüge, die in die virtuelle Realität unternommen werden, stehen hier sinnbildlich für zu erwartende Entwicklungen.
Für die Ausbildung angehender Lehrkräfte bedeutet dies nicht nur die Stärkung von Kompetenzen zum angemessenen Medieneinsatz in Bezug zu den Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen. In tiefgreifender Weise könnte es hier auch um die Förderung von Kompetenzen im Instruktions- und Videospieldesign gehen. Dabei darf auch nicht versäumt werden, Lehrkräfte in ihrer Vorbildrolle als kritische Medienkonsumenten und -verwenderinnen zu stärken.
Der Lehrerberuf gilt als sichere Berufsoption. Lebenszeitverbeamtung oder Anstellung im öffentlichen Dienst bieten Sicherheit in einer von Banken- und Wirtschaftskrisen nachhaltig geprägten Welt. Dies wird sich wohl auch in Zukunft kaum ändern. Lehrerinnen und Lehrer, die im System sind, werden die Möglichkeit haben, hier bis zum Eintritt in den Ruhestand tätig zu sein. Eine bedeutsame Frage wird aber sein, ob Lehrpersonen künftig zumindest teilweise durch Maschinen ersetzt werden. Längst sind unterrichtende Androide nicht mehr nur eine Demonstration technischer Möglichkeiten aus dem fernen Japan. Einige Länder, darunter auch Großbritannien und USA, arbeiten bereits mit Roboterlehrkräften an Schulen. Verabschiedet man sich einen Moment von der hollywoodesken Vision eines frontal unterrichtenden C3POs und stellt sich stattdessen Lernsettings vor, in denen z.B. ein von künstlicher Intelligenz gesteuerter Kopfrechenwettbewerb realisiert wird, der von den Schülerinnen und Schülern auf Tablets zu bearbeiten ist, wird erkennbar, dass es sich bei dem dann – wenn überhaupt noch – benötigtem Aufsichtspersonal nicht mehr unbedingt um eine voll ausgebildete Lehrkraft handeln muss. In der Lehrerausbildung wären dann künftig stärker diejenigen Aspekte zu betonen, in denen Menschen Maschinen überlegen sind. Hierzu gehört zum Beispiel, Lehrkräfte systematisch für die Wahrnehmung ihrer sozialen und moralischen Vorbildrollen und als Tragende und Vermittelnde von Wertesystemen zu qualifizieren. Kurse in Moralerziehung, Ökologie, Demokratie und non-verbaler Kommunikation können Beispiele relevanter Bestandteile einer zukunftsgerechten Lehrerbildung sein.
In Anbetracht verschiedener technologischer Fortschritte scheint im Hinblick auf die Entwicklung von Schule und des Lehrerberufs Vieles möglich. Auch Entwicklungen, die den bisherigen Zuschnitt des Lehrerberufs und der dazugehörigen Ausbildung in Frage stellen. Dass Lehrkräfte durch nicht burnoutanfällige Maschinen ersetzt werden, die Unterricht verlässlich nach bildungspolitisch vorgegebenen Standards umsetzen, ist dabei sicher die bizarrste Zukunftsvision von Schule. Zur Beruhigung sei deshalb gesagt, dass die bisherigen Dynamiken des deutschen Bildungssystems eher zur Bescheidenheit raten, was allzu große Fortschrittserwartungen betrifft. Immerhin unterscheidet sich die Art, wie unsere Schulen heute organisiert sind, in bedeutenden Punkten kaum von den Schulen am Beginn des 19. Jahrhunderts. Nach wie vor werden Schülerinnen und Schüler üblicherweise nach Altersklassen sortiert und in 45-minütigen Einheiten auf die Abprüfung selektionsrelevanter Wissensbestände vorbereitet und dann in einem verzerrungsanfälligen System an Ziffernnoten bewertet werden. Vielleicht wäre die Lehrerausbildung auch bereits damit gut beraten, bei angehenden Lehrkräften nachhaltig Motivation für lebenslanges Lernen aufzubauen und Kompetenzen für einen produktiven Umgang mit Ungewissheit anzubahnen. Denn diese wird garantiert auch zukünftig ein bedeutsames Charakteristikum des Lehrerberufs bleiben.