Kein gemeinsames Arbeiten auf dem Campus, kein Plausch beim Mittagessen in der Mensa. Geldnot, Lerndruck und psychischer Stress: In Zeiten von Corona und Distanzlernen ist das Studium für viele nicht leicht. Dafür ist die Solidarität der Studierenden an der Universität Erfurt untereinander umso höher. Zum Sommersemester starten sie ein Sorgentelefon – von Studierenden für Studierende. Denn wer kennt sich besser aus mit ihren Sorgen als sie selbst? Ein Interview mit Hannah Schneider, die aktuell an ihrer Master-Arbeit in Gesundheitskommunikation schreibt, selbst seit mehreren Jahren im StuRa engagiert ist und das Sorgentelefon koordiniert…
Wie kam es zu der Idee eines Sorgentelefons – Beratungsangebote gibt’s doch eigentlich schon auf dem Campus…
Die Idee ist im Oktober 2020 bei einem Workshop des Universitären Gesundheitsmanagements entstanden, in dessen Rahmen sich seinerzeit auch eine Arbeitsgruppe „Psychische Gesundheit“ gegründet hat. Mitglieder sind sowohl Professor*innen als auch Studierende aus der Hochschulgruppe CampusWELTEN und dem Studierendenrat. Sowohl die Hochschulgruppe als auch der StuRa hatten gerade mehrere Befragungen von Studierenden zur psychischen Belastung und zum Online-Semester durchgeführt und es zeigte sich immer wieder, dass die Studierenden auf dem Campus in dieser konkreten Pandemie-Situation in vielerlei Hinsicht Gesprächsbedarf haben. Da war das Sorgentelefon eigentlich nur der nächste logische Schritt. Und als die AOK Plus – unser Kooperationspartner in Sachen Gesundheitsmanagement an der Uni – sich bereiterklärte, uns beim Aufbau des Projektes finanziell zu unterstützen, war klar: Wir machen das.
Und wie soll das Ganze konkret aussehen?
An der Hotline werden Studierende ihre Kommiliton*innen bei Problemen und psychischer Belastung rund um das Studium beraten, ihnen einfach zuhören und weitere Hilfsangebote vermitteln. Das Gute daran: Es ist ein Angebot „auf Augenhöhe“ und es funktioniert ortsunabhängig und ohne Anmeldung bzw. Terminvergabe. Einfach anrufen, fertig. Ich bin ganz begeistert, wie viele Leute mitmachen und sich engagieren wollen. Gleich beim ersten Aufruf haben sich 40 Studierende gemeldet – obwohl das Ganze ehrenamtlich geschieht. Klar, die Studierenden können am Ende ein Zeugnis bekommen und sich ihr Engagement – je nach Umfang – auch als Praktikumspunkte im Studium Fundamentale anerkennen lassen, aber trotzdem lässt das ja eine Menge Solidarität mit den Mitstudierenden erkennen. Und ich bin froh, dass Leute dabei sind, die sich auch eine englischsprachige Beratung zutrauen, denn die internationalen Studierenden sollen natürlich ebenfalls von diesem Angebot profitieren. Sie haben ja nochmal größere Hürden zu nehmen – so weit weg von zu Hause und der Unterstützung ihrer Freunde und Familien. Das Ganze geschieht übrigens ganz bequem von zu Hause aus: Wer gerade „Telefondienst“ hat, logt sich via Internet in einer App ein und wird dann auf die Nummer des Sorgentelefons geleitet. Die Anrufer*innen wählen also nur eine einzige Festnetznummer – und zahlen natürlich auch nur das, was sie gewöhnlich für ein Festnetzgespräch bezahlen. Ach ja, und ganz wichtig: Die Beratung erfolgt selbstverständlich anonym. Niemand muss also Sorge haben, dass das eigene Problem danach „die Runde macht“.
Wie und wann erreicht man denn das Sorgentelefon?
Wir wollen gleich zum Vorlesungsbeginn des Sommersemesters, also am 12. April, starten. Unter der Telefonnummer 0361/30252964 ist die Hotline dann täglich von 19 bis 23 Uhr und montags, mittwochs und freitags zusätzlich von 8 bis 11 Uhr erreichbar. In den Zeiten, in denen das Telefon nicht besetzt ist oder gerade ein anderes Gespräch läuft, gibt’s eine Bandansage mit den nötigen Infos. So wollen wir zumindest starten. Wir prüfen dann nach einer Weile nochmal, ob die Zeiten eventuell angepasst werden müssen – wir wollen ja nicht am Bedarf vorbeiarbeiten.
Aber nicht jede*r ist zu solch einer Tätigkeit geboren – gibt’s so etwas wie eine Ausbildung, damit am Ende auch die Qualität der Beratung bzw. Hilfe stimmt?
Ja klar, niemand wird „ins kalte Wasser geworfen“. Allen, die sich beim Sorgentelefon engagieren wollen, bieten wir in Kooperation mit der psychosozialen Beratungsstelle des Studierendenwerks vorab eine zweitägige Schulung an. Darin gibt es eine Einführung in professionelle Gesprächsführung, in den Umgang mit Selbst- und Fremdgefährdung (Suizidalität), es geht um rechtliche Aspekte (Schweigepflicht), aber auch kollegiale Fallberatung ist ein Thema. Und natürlich bekommen die Teilnehmer*innen auch Informationen zu weiterführenden Beratungsstellen an die Hand. Außerdem gibt‘s während des Einsatzes auch immer die Möglichkeit, sich mit anderen Freiwilligen in regelmäßigen Meetings auszutauschen.
Und wenn Corona – hoffentlich – irgendwann vorbei ist? Ist dann das Sorgentelefon auch Geschichte?
Nein, das Angebot ist uns viel zu wichtig (und auch der Aufwand zu groß), um das nur für die Dauer der Pandemie aufzubauen. Schon seit Jahren zeigt sich in den Befragungen von Studierenden allgemein, dass der psychische Druck steigt. Da wirkt Corona aktuell nur wie ein Brennglas. Ich bin sicher, der Bedarf wird auch nach der Pandemie noch da sein, deshalb wollen wir das Angebot gern langfristig anlegen. Die Idee ist aktuell, das Ganze irgendwann in eine Hochschulgruppe zu „überführen“. Natürlich steht und fällt das mit dem Engagement jedes Einzelnen. Es ist halt ein Angebot von Studierenden für Studierende. Wenn irgendwann nicht mehr genug Leute mitmachen, muss es reduziert oder eingestellt werden. Bei dem aktuellen Interesse mache ich mir da aber erstmal keine Sorgen!